Die ältesten Ansichten der Bergstadt Zschopau
von Hermann von Strauch
I.
Die älteste Ansicht der Stadt Zschopau finden wir in dem berühmten Städtebuch von Braun und Hogenberg, das 1572 bis 1618 unter dem Titel „Civitates orbis terrarum", zu deutsch „Die Städt des Erdkreises", erschien.
Georg Braun (oder Joris Bruin) war damals Kanonikus und Dekan an der Kölner Liebfrauenkirche. Er schrieb die lateinischen Texte zu den Bildern, welche der in Mecheln in Brabant geborene und seit 1590 in Köln lebende Kupferstecher Frans Hogenberg (oder Hougenberg) lieferte.
Seine Ansicht von Zschopau stammt aus dem Jahr 1617 und geht mit der Realität offenbar recht freizügig um. Es ist aber auch gut möglich, dass Hogenberg Zschopau mit eigenen Augen niemals gesehen und seinen Stich nach einer älteren Vorlage gefertigt hat. Zum Beispiel fällt auf, daß die im Hintergrund dargestellte Augustusburg noch nicht die bekannte Silhouette zeigt, wie sie in den Jahren 1567 bis 1573 entstand. Auch am Schloß Wildeck erkennen wir nicht die 1545 geschaffenen Bauformen.
Der Text von Braun verdient ebenfalls unsere Beachtung: Zwar konnte der Autor nicht viel über unsere Stadt in Erfahrung bringen, wie er selbst gesteht, aber er entschädigt uns durch eine gleichermaßen interessante wie realistische Schilderung des Erzgebirges und der Zeit des großen „Berggeschreis" im 15. und 16. Jahrhundert. Den Begriff „Erzgebirge" verwendet er allerdings noch nicht; für ihn sind es die „böhmischen Berge". Ebensowenig gebraucht er die Bezeichnung „Sachsen" oder „Obersachsen" für unser Gebiet, sondern immer den Namen der alten Mark Meißen.
Der Text Brauns lautet in deutscher Übersetzung: S C O P A.
OBGLEICH das Meißner Land sich sowohl durch seine Fruchtbarkeit als auch durch sein gesundes Klima auszeichnet, und deshalb mit vielen sehr wohlhabenden Städten und schier unzähligen Dörfern geschmückt ist, tragen doch gewiß nicht nur die Feldfrüchte über der Erde, sondern auch die Bodenschätze unter der Erde zur Vermehrung des Reichtums bei, der diesem Lande vor anderen zufließt. Einst freilich gab es nichts Unwirtlicheres als jenen ganzen Landstrich, wo Meißen vom Königreich Böhmen teils durch raue Berge, teils durch dicht bewaldete Felsschroffen getrennt ist. Doch nachdem die Habsucht der Menschen das Innerste dieser unfruchtbaren, abgelegenen Ländereien zu durchwühlen begann und unglaubliche Reichtümer in ihnen fand, als um die Wette eine riesige Menge Menschen wie zur Plünderung herzueilte, wurden an bestimmten Stellen ganz neue Städte gegründet, entstanden aus Weilern Dörfer, aus Dörfern Städte. Unter diesen ist noch ganz jung, aber nichtsdestoweniger hervorragend die, welche man Annaeberga nennt, und welche alsobald im Jahre 1503 begann, sich mit einer Mauer zu umgeben. Kurz, ich versichere, sie ist wegen des überreichen Ertrages ihrer Erzadern so aufgeblüht, dass sie unter berühmteren Städten mit Recht ihren Platz haben könnte. Nicht weit von da entspringt das Flüsschen Scopa in den böhmischen Bergen, das nach etwa zwei Meilen seines Laufes an der Stadt gleichen Namens vorüberfließt, welche die Leute deutsch Schuepen nennen. Die Burg in ihr, welche auf den Fluß herabschaut, liegt abgesondert auf einem Felssporn und hat einen stattlichen Turm, der zur Stadt hin errichtet wurde. Der Acker, für Saatfrüchte ebenso geeignet wie zum Viehweiden, dient den Einwohnern zur Nahrung; reichen Gewinn erzielen sie aus dem Handel mit den nahen Erzbergwerken. Ich kann hier allerdings nichts weiter berichten, da ich von denen, die genauere diese Stadt betreffende Angaben machen, nichts Sicheres weiter erfahren habe, so dass ich an dieser Stelle hinzufüge, was ich mit großem Erstaunen bei einem glaubwürdigen Schriftsteller gelesen habe. Jener sagt nämlich, aus öffentlichen Berechnungen gehe hervor, dass an einem einzigen Silberfundort, welcher Schneeburg heißt, das ist Nivalis Mons, vom Jahre 1471, und zwar seit dem Tage, der S. Dorotheen geweiht ist, bis zum Jahre 1550 von den Bergleuten und Teilhabern ein Gewinn von hundertdreiundzwanzigtausenddreihundertfünfundfünfzig (123355) Tonnen Gold erzielt worden sei, wie sie selbst sagen. Auf das Konto der kurfürstlichen Steuerkasse seien zweitausendfünfhundertneunundfünfzig (2559) Tonnen Gold überwiesen worden, und beinahe ebensoviel auf das Konto des Hammers entsprechend ihren Gesetzen und Gewohnheiten. Das mögen nun jene bedenken, die unbeirrt behaupten, in Deutschland gäbe es keine Erze. Ich jedenfalls glaube, wenn Tacitus, der ansonsten weder schlechte noch unachtsame Schilderer Germaniens, wieder lebendig würde, er nicht nur diesen Irrtum gern getilgt, sondern vielmehr Deutschland in seiner reichen und glücklichen Lage (wenn denn das Glück zu nennen ist, dass sich in so mancherlei Unglücksfällen, seien sie selbst oder von Mitmenschen verschuldet, ich möchte sagen, ein Halt bietet) leicht einen der ersten Plätze unter den Ländern Europas zuerkannt hätte.
II.
Etwa zehn Jahre, nachdem Hogenberg seinen Kupferstich mit der „Contrafatur" der Stadt Zschopau geschaffen hatte, entstand eine Federzeichnung der gleichen Ansicht von der Hand Wilhelm Dilichs.
Wer ist das? Wilhelm Dilich wurde Anfang der siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts als Pfarrersohn bei Wildungen in Hessen geboren. Er besuchte die Gelehrtenschule in Kassel und die Universität Wittenberg, um dann als „Abreißer (Zeichner) und Geographus" in den Dienst des Landgrafen Moritz von Hessen zu treten. Er veröffentlichte eine beträchtliche Zahl kleinerer und größerer Schriften, die er selbst mit Karten, Plänen, Stadtansichten und Bildnissen illustrierte. Wegen des schleppenden Fortgangs der vom Landgrafen angeordneten Vermessung seines Landes konnte Dilich seinen Dienstherrn jedoch auf die Dauer nicht zufriedenstellen. Er fiel in Ungnade, konnte sich aber der drohenden Haft durch Flucht entziehen, als Tilly 1623 mit seinen Soldaten heranrückte. In kursächsischen Diensten befand sich damals als Festungsingenieur der hessische Edelmann Melchior von Schwalbach. Er half Dilich bei seiner Flucht und 1624 zu einer neuen Anstellung beim Kurfürsten Johann Georg I. in Dresden. Dieser erkannte bald Dilichs vielseitige Fähigkeiten, entlohnte seine Dienste freigiebig und verlieh ihm den Titel „Oberlandbaumeister". Als er ihm die Ausgestaltung des Riesensaales im Dresdner Schloß übertrug, schlug Dilich vor, „über dem Hauptsims die Contrafacturen der vornehmsten Städte des Landes Meißen ... anzubringen." Der Vorschlag wurde gebilligt, und Dilich erhielt den Auftrag, die erforderlichen Zeichnungen vor Ort anzufertigen. Mit einem kurfürstlichen Dekret in der Tasche, das die Stadträte und Amtsschösser verpflichtete, Dilich auf der Reise mit Pferd und Wagen, Quartier, Verköstigung und jedweder Hilfe bei seiner Arbeit zu unterstützen, fuhr er von 1626 bis 1629 durch die Lande. An der Numerierung seiner Zeichnungen können wir die Reiseroute Dilichs verfolgen. Die zwölfte Station, wo er zeichnete, war Zschopau.
Im Unterschied zu Hogenbergs Kupferstich, bei dem man nicht weiß, was Realität und was Phantasie ist, besticht uns Dilichs Zeichnung durch ihre fast fotografische Treue. Wenn wir zum Beispiel heute die St. Martinskirche oder in Einzelheiten das Schloß Wildeck anders kennen, als er es gezeichnet hat, so lassen sich doch alle Veränderungen archivalisch genau belegen. So, wie es Dilich gezeichnet hat, sah Zschopau im Jahre 1626 wirklich aus.
Von dieser Art sind alle 132 Stadtansichten, die er damals anfertigte. Das wichtigste war für ihn die Wahl des richtigen Standortes und Ausschnittes,im Übrigen ließ er Natur und Menschenwerk durch sich selber wirken, nichts ist in seiner Darstellung geschönt. Wenn seine Zeichnungen trotzdem einen hohen ästhetischen Reiz haben, so deshalb, weil er die Schönheit unserer Heimat gesehen und recht ins Bild zu setzen gewusst hat. Unschätzbar groß ist aber auch ihr dokumentarischer Wert: Kurz vor den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges informieren sie uns umfassend und genau über das Aussehen unserer Städte mit ihren Häusern, Kirchen, Mauern, Toren, Türmen und Schlössern. Im 17. Jahrhundert nahm Zschopau der Größe nach den 18. Platz unter den sächsischen Städten ein. Dennoch gehörte es nicht zu den „vornehmsten Städten" des Landes, die den Riesensaal des Dresdner Schlosses schmückten. Überhaupt fertigte Dilich viel mehr Zeichnungen an, als er für seinen Zweck brauchen konnte; auch fügte er den Bildern lateinische „descriptiones" (Beschreibungen) hinzu. Das deutet darauf hin, dass er an eine Veröffentlichung in einem Städtebuch mit Kupferstichen und Texten dachte. Vielleicht hat der lange Krieg und dann das Alter des Künstlers ein solches Vorhaben verhindert. Dilich starb hochbetagt im Jahre 1655.
III.
Eine dritte Ansicht Zschopaus aus dem 17. Jahrhundert stammt von dem berühmten Kupferstecher und Verleger Matthäus Merian d. Ä. Er wurde im Jahre 1593 in Basel geboren und gelangte über verschiedene Stationen nach Frankfurt am Main. Dort heiratete er in das Verlagshaus de Brey ein, das zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Deutschland nahezu ein Monopol für die Herstellung und den Vertrieb von Kupferstichen besaß. Nachdem er von 1619 bis 1624 wegen der Kriegswirren nach Basel zurückgegangen war, kam Merian nach dem Tode seines Schwiegervaters nach Frankfurt zurück, um sich das Erbe seiner Frau zu sichern und die Führung des Geschäftes zu übernehmen. Sein erfolgreiches verlegerisches Schaffen konnte auch durch den Dreißigjährigen Krieg nicht erschüttert werden. Unter anderem wandte er sich aktuellen Themen zu, die sich schnell in klingende Münze umsetzen ließen. 1642 begann er mit der Herausgabe seiner Topographien Deutschlands, Frankreichs und Italiens. Auf Seite 173 seiner „Topographia Superioris Saxoniae ... Das ist Beschreibung der bekanntesten Stätt und Plätz in Churfürstenthum Sachsen / Thüringen / Meißen / Ober- und Nider Laußnitz und einverleibten Landen" aus dem Jahre 1650 finden wir zu dem Stich mit der Ansicht Zschopaus folgenden Text:
Tschopau, Tschoppau, Zschopa.
Ein Churfürstl. Sächsisches Schloß und Städtlein in Meißen / und desselben Ertzgebürgischen Craieße / an dem Flüßlein Tshopa / (davon auch dieser Ort den Namen hat) / nahe bey Schelnberg / Annaberg / Chemnitz / Ravenstein / Wolckenstein und Thum gelegen; so wegen der guten Birren (Birnen) / die da wachsen / und der herrlichen Jagten / und Viehzucht / so in dieser Gegend zu finden / auch des köstlichen Bieres halber / so allhie gemacht wird / beruffen ist. Anno 1632 haben die Kaiserlich-Holckische allhie sehr übel gehauset / wie auch an vielen andern Orten. Im Jahr 1634 den 21. November seyn etliche Sächsische Regimenter von den Kaiserischen allda ruiniret / und das Städtlein biß auff das Schloß / und etliche geringe Häußlein / vor dem einen Thor in die Asche geleget / nach und nach aber die Häuser wiederum gebauet worden. Der sechste theil deß G. Braunen Stättbuchs gedencket auch dieses Orts / unter dem Namen Scopa oder Schuepen / und sagt / das Schloß liege gegen dem Wasser auff einem Hügelein / und habe einen schönen Thurm / gegen dem Städtlein zu."
Merian war nicht in der Lage, alle Orte selbst aufzusuchen, die er in seinen Büchern beschrieb und abbildete, er war auch bestimmt nicht in Zschopau, um etwa eine Zeichnung nach der Natur zu machen, wie es 1626 Dilich getan hatte. Wir wissen nicht einmal genau, ob er unseren Stich eigenhändig angefertigt hat; manches spricht sogar dagegen: Nicht nur, dass Merian am 19. Juni des gleichen Jahres 1650, als der Stich erschien, in Schwalbach starb, sondern wir wissen auch, dass er seit langem sich einen tüchtigen Mitarbeiterkreis herangebildet hatte, der weitgehend selbständig unter seinem bekannten Namen tätig war, während er sich mit viel Geschick der kaufmännischen und organisatorischen Seite seines Verlages widmete. Aber auch diese Mitarbeiter reisten nicht über Land, um vor Ort die Städte zu zeichnen, die abgebildet werden sollten. Es war billiger und einfacher, sich die Vorarbeit anderer zunutze zu machen. Zum Beispiel hatten viele Territorialfürsten des 17. Jahrhunderts ihre Architekten und Festungsingenieure beauftragt, das Bild ihrer Städte möglichst genau wiederzugeben; doch anders als Dilich entledigten sich die meisten ihres Auftrages ohne künstlerische Ambitionen in einer sehr trockenen Art. Merian verstand es, sich solche Unterlagen zu besorgen, aber er war weit davon entfernt, diese einfach zu kopieren bezw. kopieren zu lassen.
Auch ältere Veröffentlichungen wurden ungeniert ausgebeutet – Urheberrecht gab es nicht. In unserem Fall wurde das Städtebuch von Braun und der Stich von Hogenberg als Vorlage benutzt, und wir können sehr schön beobachten, wie Merian und seine Mitarbeiter bei ihrer Umgestaltung zu Werke gingen. Zunächst wurde die Gestalt der wichtigsten Gebäude der Stadt übernommen, das Schloß, die Kirchen, Tore, Türme und Mauern. Wie bei der Vorlage werden sie hervorgehoben und unnatürlich groß abgebildet. Wie bei Hogenberg fehlt der Rathausturm. Und doch wirkt das Bild völlig anders: Die Perspektive wurde verbessert, das unruhige Durcheinander der Häuser und Dächer geordnet, der Vordergrund verkürzt und neu staffiert, die Landschaft vereinfacht und harmonisch gegliedert; der hohe Himmel wird durch Wolken belebt. Vieles wirkt glaubwürdiger und richtiger, obwohl die Merian'sche Darstellung nicht weniger ein Produkt der Phantasie ist als die Hogenbergs.
Warum aber benutzten Merian und seine Leute nicht die sehr viel bessere, genauere und aktuellere Federzeichnung Dilichs als Vorlage? Wir wissen nämlich, dass Matthäus Merians gleichnamiger Sohn 1650 nach Dresden kam, wahrscheinlich um bei Hofe Material für die geplante Veröffentlichung zu erbitten. Und tatsächlich gehen 27 oder 28 der schönsten sächsischen Stadtansichten Merians auf Dilich zurück. Also warum nicht auch die Zschopauer? Weil es unwahrscheinlich ist, dass Merian d. J. in Dresden die Zeichnungen Dilichs zu sehen bekam. Viel eher ist anzunehmen, dass Dilich sie seinem Konkurrenten vorenthielt, weil er an eine eigene Veröffentlichung dachte. Doch zum Riesensaal im Dresdner Schloß muß Merian Zutritt gewährt worden sein, samt der Erlaubnis, die 28 sächsischen Stadtansichten zu kopieren, die dort die Wände zierten. Da aber Zschopau nicht darunter war, konnte er sich nur auf das Buch von Braun und Hogenberg stützen, wenn er nicht selbst nach Zschopau reisen wollte um dort zu zeichnen.
Trotzdem ist der Stich Merians reizvoll und sehr dekorativ.
Hermann von Strauch